Ein
Aufsatz aus dem Fluke-Magazin Nr. 05
von
Prof. Dr. U. Supprian
Alle
Wale sind Säugetiere, also Warmblüter. Der Pottwal, Physeter macrocephalus,
könnte jedoch in einer speziellen Hinsicht auch "partiell
wechselwarm" genannt werden. Er enthält in einem besonderen Organ (Spermacetiorgan)
im Bereich des Schädels eine große Menge Walratöl, in welchem ein Wachs, das
Walrat, gelöst ist. Das gibt dem Tier den charakteristischen Körperumriß mit
dem grotesk-riesigen Nasenwulst und verleiht ihm sehr wahrscheinlich die extrem
ausgebildete Fähigkeit zum Tieftauchen (im - nachgewiesenen - Extremfall über
mehr als 3000 Meter innerhalb von mehr als 2 Stunden), indem hier wechselnde
Temperaturen herrschen.
Man
kann vier wohlabgegrenzte Phasen des Schwimm- und Tauchverhaltens unterscheiden,
die funktionell gesehen ein zyklisch geschlossenes Ganzes bilden:
Phase
I.
Sofort nach dem Auftauchen, gleichsam mit dem Durchstoßen der
Wasseroberfläche, öffnet sich das eine (asymmetrische, linksseitige) Blasloch
direkt an der Körperspitze und es wird eine unter hohem Druck stehende Menge
Gas (Kohlendioxid?) schräg nach vorne ausgeblasen (der "Blas" der
Walfänger). [Man sollte den Blas schnell automatisch optisch anmessen, dann mit
einem starken Scheinwerfer beleuchten und das Spotlicht spektroskopieren, um die
Gaszusammensetzung zu erkunden]. Der Wal schwimmt nach dein Auftauchen für die
Dauer von etwa 10 Minuten aktiv an der Wasseroberfläche - über Flossen und
Fluke hydrodynamisch stabilisiert - und atmet dabei etwa 60 mal. Dieser
Atmungsvorgang hat zwei Resultate: er führt zum einen zu einem Vorrat an
Sauerstoff durch schließliche Sättigung der speziell ausgebildeten
Myoglobinspeicher der Muskulatur (gleichsam durch Hyperventilation) und er kühlt
zum anderen das Spermacetiorgan mit der Außenluft (oder durch mitgeatmetes
Seewasser?) unter die Körpertemperatur. Dabei kristallisiert der Wachsanteil
des Walrats aus dem Walratöl aus. [Um dies genauer verstehen zu können, wäre
es gut, die Anatomie der Atemwege vom Blasloch zur Lunge innerhalb des
Spermacetiorgans zu kennen].
Walrat
(offizinell Cetaceum oder Spermaceti) ist ein Wachs von weißer Farbe und grobblättriger,
perlmuttartig glänzender Struktur. Es besteht aus Estern der Palmitinsäure
(38%), Myristinsäure (37%), Laurinsäure (15%), Stearinsäure (8%) und Caprinsäure
(1%). Spez. Gewicht 0.94, Schmelzpunkt 42°.
Walrat
löst sich leicht in Walratöl (offizinell Oleum Cetacei), das aus Estern
einwertiger Alkohole besteht (Cetylalkohol 80%, Stearylatkohol 12% und
Myristinalkohol 6%). Spez. Gewicht 0.871. Der Gewichtsanteil des
Wachses beträgt etwa ein Drittel des Walratöls.
Natürliches
Waltrat ist (nach eigenen Messungen)2 oberhalb etwa 21° flüssig und
ölklar und hat ein spezifisches Gewicht von 0.85, unterhalb 18° ist es weißlich-trüb
und kristallin-fest und hat ein spezifisches Gewicht von 0.87. Diese Differenz
ist ein Kardinalpunkt aller hiesigen Überlegungen. Sie bedeutet, dass das feste
(d. h. gekühlte) System 2,2% weniger Volumen beansprucht als das flüssige (d.
h. erwärmte), was auf die angenommene Größe des Tieres bezogen (ein
erwachsener Pottwal wiegt etwa 25 to, davon sind mindestens 2,5 to Watrat) rd.
40 kg ausmacht. Es kann daran gedacht werden, dass der evolutionäre Druck
gerade dieses System optimiert hat und jene Substanzen und Mischungsverhältnisse
und Schmelzpunkte gefunden hat, die eine maximale Differenz der spezifischen
Gewichte bei verschiedenen Temperaturen zeigen. Der Ölanteil holt den
Schmelzpunkt des Systems unter die Körpertemperatur.
1
Für freundliche Auskunft ist Herrn Apotheker
2
Die freundliche Bereitstellung von Proben ist Frau Dr. Siebert, FTZ Büsum, zu
danken
Wie
eine Literaturdurchsicht (nach Abschluss dieser spekulativen Überlegungen)
zeigte, wurde der Kern des Gedankens bereits 1976 von M. R. Clarke formuliert
und zur Erklärung des Tieftauchens herangezogen. Clarke hat auch die
Temperatur- und Druckabhängigkeit des spezifischen Gewichts von Waltrat
vermessen. Seine Ergebnisse stimmen mit unseren Messungen nicht in allen Punkten
überein, indem wir andere Schmelzpunkte in unseren Proben bestimmten.
Auch
hat Clarke seinerzeit noch nicht zur Sprache gebracht, dass Wachs ein
ausgesprochen schlechter Wärmeleiter ist, Öl hingegen ein sehr guter, was die
Walratzusammensetzung erklärt.
Mit
der Sättigung der O2-Speicher und der Auskristallisierung des
Walrats und einem letzten exspirativen Atemzug bis zur vollständigen
Entleerung der Lungen endet die Phase I.
Es
herrscht das Archimedische Prinzip. Die equilibrierte Schwebelage (Gleichgewicht
zwischen Auf- und Abtauchen) wäre erreicht, wenn das Gesamtvolumen des mit
keinem Körperteil aufgetauchten Tieres eine Wassermenge verdrängen würde,
deren aktuelles Gewicht (unter Berücksichtigung von Salzgehalt, Temperatur
etc.) genau dem Körpergewicht des gesamten Tieres gleich ist (das sich aus
relativ schweren Teilen, etwa den Knochen, und leichteren, wie etwa Walrat
zusammensetzt). Nach dem Phasenübergang des Walrats zur kristallinen Phase und
der damit vermachten Änderung des spezifischen Gewichts dieses Teilsystems ist
diese Bedingung jedoch nicht mehr gegeben. Ein relatives Übergewicht erzeugt
eine Zugkraft von etwa 40 kg und zieht den Wal senkrecht in die Tiefe (allein
dem Schwerefeld folgend) mit einer konstanten Geschwindigkeit. Die
Anfangsgeschwindigkeit kann beim Abtauchen direkt beobachtet werden, wenn das
Tier die Fluke in die Luft erhebt und dann offenbar senkrecht abtaucht, sie beträgt
etwa 1.5 bis 2.2 m/Sek. Diese mit der Abschwenkbewegung zum Abtauchen
eingeleitete Geschwindigkeit bleibt nun erhalten bis in die volle Tauchtiefe
ohne eine Unterstützung durch aktive Schwimmbewegungen und demnach auch
weitgehend ohne Sauerstoffumsatz.
Phase
II. Es ist
bekannt, daß der Herzschlag während des Abtauchens auf bradykarde Werte zurückgeht.
Schon das spricht dafür, dass das Abtauchen nicht eine aktive Schwimmleistung
ist.
Die
Betrachtung der spezifischen Gewichte spricht dafür, dass das Abtauchen ein
rein physikalischer, passiver Vorgang ist. Denkbar ist, dass der Wal währenddessen
schläft. Er würde dann erst mit dem Erreichen des Tiefseegrundes erwachen, was
das Sonar rechtzeitig signalisiert. Die Tauchtiefe wird mithin nicht von einer
biologischen Leistungsgrenze vorgegeben (wie bei menschlichen Tauchern), sondern
ergibt sich allein aus den ozeanographischen Verhältnissen des Ortes, an
welchem das Tier jagt. Der Wal geht solange unter, bis er den Grund erreicht
(oder das Tier den Tauchvorgang aktiv beendet). Das dauert bis zu größenordnungsmäßig
1 Std. Der passive Vorgang beansprucht so gut wie nicht die
Sauerstoffvorräte. Die Tauchgeschwindigkeit v wird allein von der Größe des
Tieres (verdrängtes Volumen V), dem volumenbezogenem Widerstandsbeiwert cDV
und der Dichte des Wassers ρ. sowie der Zugkraft R bestimmt. Die
Tauchgeschwindigkeit ergibt nach der Formel3
für
die angenommenen Werte eine Sinkgeschwindigkeit von 2.2 m / sek., was mit der
Beobachtung sehr gut in Übereinstimmung ist und einen passiven Mechanismus bestätigt.
3
Für freundliche Beratung ist Herrn Dr. rer. nat. Ing. Franitzer, HDW U-Bootbau
Kiel, zu danken
Phase
III. Mit dem
Erreichen der Jagdgründe erwacht das Tier, das durch sein Gebiss als Raubtier
ausgewiesen ist, und beginnt die wahrscheinlich kurze (etwa 10 min)
schwimmaktive und sonargelenkte Jagd auf Tintenfische mit aktiver Muskelarbeit
und nun natürlich unter Sauerstoffumsatz - solange der Vorrat reicht - und mit
einer dazu notwendig äquivalenten Wärmeproduktion.
Die
Inkorporation der Beute durch Verschlucken ändert die Hydrostatik nicht, da die
Tintenfische für die Tauchtiefe ohnehin equilibriert sind. Für eine vollständigere
Betrachtung sind dennoch Volumen und Temperatur der aufgeschluckten Beute in der
Bilanz zu bedenken. Die Wärme (die Hitze der Jagd) wird aus der Muskulatur
durch den Kreislauf im Körper verteilt und kann nicht, wie bei Säugetieren
sonst, nach außen abgegeben werden, weil die mächtige Speckschicht einen sehr
guten Isolator gegen Wärmeleitung darstellt (gegen Auskühlung ebenso wie gegen
Überhitzung). Insofern würde ein Wärmestau drohen. Das noch kalte
Spermacetiorgan dient in dieser Situation jedoch als interner Kühler und
hindert die Überwärmung der Muskulatur, solange seine Wärmekapazität reicht.
[Zum Verständnis der Verhältnisse wäre es nützlich, die Anatomie des Gefäßsystems
im Spermacetiorgan zu kennen. Hier ist an die sog. Wundernetze zu denken].
Schließlich wird das Kühlorgan soweit durchwärmt, dass der kristallisierte
Walrat schmilzt. Dabei ändert sich das spezifische Gewicht des Tieres, das
Volumen des Walrat/Walratöl-Systems nimmt zu und damit auch das des ganzen
Tieres und zwar wegen der Inkompressibilität des Öls gegen jeden äußeren
Druck aus bloß physikalischer Notwendigkeit (auch bei Tauchtiefen von z. B.
3000 Metern). Der Wal wird schließlich um etwa 2 - 3% leichter und dadurch
sogar gezwungen, die Tiefe zu verlassen und aufzutauchen, wenn er hydrodynamisch
nicht länger gegensteuern kann. Bei richtiger Abstimmung der Leistungsdaten der
beteiligten Systeme aufeinander (wie man es der Evolution zutrauen darf), könnte
der Schmelzpunkt gerade dann erreicht werden, wenn der Sauerstoff verbraucht
ist. Darin läge ein intrinsischer Schutzmechanismus gegen Überschreitung
der Tauchzeit gleichsam im Jagdeifer, da die Erschöpfung der Sauerstoffvorräte
über die vermittelnden thermischen Vorgänge das rechtzeitige Auftauchen
erzwingt.
Phase
IV. Auch das
Auftauchen dürfte ein rein passiver, physikalischer Vorgang sein. Es wird eine
Auftauchgeschwindigkeit erreicht, die im wesentlichen vom Formwiderstandsbeiwert
und dem spezifischen Gewicht diktiert wird. Eine weitere Stoffwechselleistung
liegt dem nicht zugrunde. Die erste aktive Leistung ist der Blas. Damit schließt
sich der Zyklus.
Literatur
Liebe Besucher meiner Homepage, sollten Sie auf diesen Seiten etwas gefunden haben, was Ihren Ausarbeitungen auf der UNI, privat oder beruflich weiterhilft, würde ich mich zu einer Spende, die Sie per paypal überweisen können, sehr freuen. Jeder noch so kleinste Betrag kommt dem Heft "FLUKE" zu Gute. Da die Finanzierung dieses Heftes aus privater Tasche erfolgt, danke ich für jede Spende. Im Laufe des Bestehens dieser Seiten, habe ich unzählige Anfragen zu den genannten Themen erhalten und teilweise mit viel Aufwand (Kopien anfertigen, suchen in der Literatur usw.) erledigt. Meine entstandenen Portokosten sind mir von ca. 60% aller Anfragen nicht ersetzt worden aber immerhin ein "Danke" erreichte mich von ca. 70% aller Anfragen. Das ist zwar meiner Motivation nicht gerade förderlich, trotzdem glaube ich weiterhin an das Gute im Menschen und stehe auch in Zukunft mit Rat zur Verfügung, sofern es mein Wissen und meine Literatur zulassen. | Hier kommen Sie zur PayPal - Startseite PayPal-Empfänger: alfred@schmidt-fluke.de |